Keine vornehme Rücksicht auf die Täter
Gedenken – In Riedstadt sollen ab Februar Stolpersteine an vertriebene und ermordete jüdische Bürger erinnern
RIEDSTADT.
Niemand soll vergessen werden. Für die Erinnerung an im NS-Regime verfolgte und ermordete jüdische Bürger, deren Namen durch die inzwischen europaweit bekannten Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig lebendig gehalten werden, gilt das langfristig. Aber auch die kurzfristigen Vorplanungen vor Ort sollen frei von Fehlern sein.
Deshalb sucht der „Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau“ Mitstreiter, die vor der Verlegung erster zehn auf zehn auf zehn Zentimeter großen Betonquader mit Messingplatte im Boden, die die Namen der in Riedstadt lebenden Juden Anfang 1933 dokumentieren, die Geschichte der damals Verfolgten nachvollziehen. „Wir fangen aber nicht bei Null an“, erklärte Vorsitzender Walter Ullrich, der schon zahlreiche Stolpersteinverlegungen begleitet hat, bei einer Informationsveranstaltung in der ehemaligen Erfelder Synagoge.
So kann der Förderverein unter anderem auf das 1990 erschienene Buch „Verschwundene Nachbarn – Jüdische Synagogen und Gemeinden im Kreis Groß-Gerau“ von Angelika Schleindl zurückgreifen. Dennoch wird es nötig, die Namen der dort Genannten und deren Geschichte noch einmal nachzuvollziehen, damit auch wirklich vor jedem Haus, in denen Juden lebten, ein Erinnerungsstein ins Gehwegpflaster eingelassen werden kann.
Die ersten Stolpersteine in Riedstadt werden im kommenden Februar in Wolfskehlen verlegt. Die Aktion über alle Stadtteile hinweg ist auf mehrere Jahre angelegt. „Es geht um etwa 128 Personen“, erklärte Ullrich. „Beinahe die Hälfte davon lebte in Crumstadt.“ Mehr als zwölf bis 15 Stolpersteine sollten nicht an einem Tag verlegt werden, um nicht den Eindruck einer Massenveranstaltung entstehen zu lassen. Auch für die Psyche der Anwesenden – wenn es gelingt, darunter auch Nachfahren der damals Verfolgten – sei das einfacher.
„Wo auch immer Gunter Demnig Stolpersteine verlegt, das führt immer zu Kontroversen“, betonte Walter Ullrich, aber es sei auch durchaus der Sinn, dass darüber gestritten werde. „Das Thema trifft offensichtlich eine große diskursive Lücke“, bescheinigte Ullrich vielen Menschen, dass die Verbrechen im Nationalsozialismus ein Thema seien, „an das viele nicht ranwollen“.
Dabei würden Gegenargumente vorgebracht, die Ullrich sichtlich ärgerten: „Warum muss man das jetzt machen? Kann man die Vergangenheit nicht ruhen lassen.“ Oder gar: „Ich habe Angst, dass der Wert meines Hauses gemindert wird, wenn davor ein Stolperstein liegt.“
Ullrich betonte, dass bei der Verlegung der Steine, bei der – soweit recherchierbar – eine kurze Vita der Opfer vorgetragen wird, auch Täternamen genannt werden. „Ich kann keine vornehme Rücksicht auf die Täter und deren Nachkommen nehmen. Indem man Stolpersteine verlegt, bezieht man klar Position.“
Die Resonanz auf die erste Infoveranstaltung war noch etwas verhalten. Gerade einmal acht Interessierte fanden sich ein. Allerdings hofft Ullrich, für die nächste Sitzung einer Projektgruppe, die sich mit der Recherche der jüdischen Ortsgeschichte befasst, noch einige Mitstreiter zu finden.
Die Unterstützung der Stadt ist Ullrich und Mitstreitern allerdings sicher. Nicht nur, dass das Parlament der Stolpersteinverlegung, die immerhin im öffentlichen Raum erfolgt, mit großer Mehrheit zugestimmt hat. Auch habe die Verwaltung dem Förderverein Jüdische Geschichte ihre Unterstützung bereits zugesagt. Die könnte vielfältig aussehen: vom Zugang zum Kommunalarchiv, um zu recherchieren, bis hin zu Kontakten zur Lufthansa, die in der Vergangenheit zu Stolpersteinverlegungen angereisten Verwandten der Opfer reduzierte Flugpreise anbot.
Erste Zusammenkunft der Vorbereitungsgruppe ist am 22. August (Donnerstag) um 19 Uhr in der ehemaligen Synagoge in der Erfelder Neugasse.