Mahnmal und Erinnerung zugleich
Stolpersteine – Künstler Gunter Demnig verlegt in Goddelau und Crumstadt insgesamt 15 der kleinen Denkmale
RIEDSTADT.
Gedenken kennt keinen Endpunkt. Es hört nicht einfach auf; lässt sich nicht einfach mit einem gedanklichen „Schlussstrich“ ins Vergessen verabschieden. Erinnerungen jedoch können verblassen und bedürfen daher immer wieder der Auffrischung. Eine solche sind die „Stolpersteine gegen das Vergessen“, die am Mittwochmorgen in Goddelau und Crumstadt zur Erinnerung an von den Nationalsozialisten vertriebene oder ermordete Mitbürger jüdischen Glaubens verlegt wurden.
In Goddelau erinnerten die Stolpersteine an das Schicksal der Familien Bruchfeld, Veit/Amram und Bruchfeld. „Als Goller“, freue es ihn besonders, dass die Verlegung der kleinen Zementblöcke – auf denen eine Messingplakette einige Daten zu der Person nennt, der sie gelten – eine so große Resonanz erfahre, begrüßte Walter Ulrich vom Förderverein für Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau sichtlich bewegt die rund 100 Gäste der Gedenkveranstaltung.
Erinnernd, nicht anklagend, verlasen im Anschluss Schüler der Martin-Niemöller-Schule die Lebensgeschichten der „verschwundenen Nachbarn“. Alle Familien waren, wie man heute sagen würde, „gut integriert“ ins Dorfleben. Sie waren Kaufleute, Handwerker, sogar Büttenredner bei der örtlichen Fastnacht, wie bei der Verlegung in Crumstadt zu hören war.
Und doch fielen sie dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer, mahnte Barbara Veit-Roosen an, die für die Gedenkfeier extra aus den Vereinigten Staaten angereist war. „Warum? Weil sie Juden waren.“ Dennoch habe ihr Vater seine deutsche Herkunft und seinen Heimatort immer im Herzen getragen, fügte ihr Bruder Benjamin hinzu.
Zur Verlegung in Crumstadt waren keine Angehörigen der Familie Wolf erschienen. Es gibt keine, denn die gesamte Familie fand den Tod im Konzentrationslager. Dennoch hatte die Familie bis kurz vor der Deportation die Hoffnung auf ein glückliches Ende nicht aufgegeben, wie den von den Stolpersteinpaten Gabi Wunderle und Burkhard Held verlesenen Briefen zu entnehmen war. „Wir suchen noch 43 Stolpersteinpaten“, betonte Walter Ulrich im Anschluss gegenüber den Gästen der Verlegung in Crumstadt. Und auch die „Projektgruppe Stolpersteine“ sei immer auf der Suche nach neuen Mitstreitern, fügte der ehemalige Pfarrer hinzu. Auf je mehr Schultern das Projekt verteilt sei, desto besser: „Es liegt noch viel Arbeit vor uns.“
„Wir dürfen nicht vergessen, was damals passiert ist“, betonten die Patinnen Petra und Melanie Loistl aus Stockstadt im Gespräch mit dem ECHO. Die Erinnerung an die verschwundenen, fast vergessenen Nachbarn aufrechtzuerhalten, hielten sie dabei für besonders wichtig. Aber warum eigentlich? Die Rede vom „Schlussstrich“, den man nun endlich einmal ziehen solle, drängt schließlich in den letzten Wochen und Monaten immer stärker in den öffentlichen Diskurs.
Die Erinnerung an jene Menschen sei wichtig und richtig, widersprach Benjamin Veit-Roosen dieser Ansicht. Auch heute noch und in jüngerer Zeit wieder, würden Menschen aus ideologisch verblendetem Hass verfolgt, zog er eine Parallele, etwa zu den Anschlägen auf die französische Satirezeitung „Charlie Hebdo“. Die Stolpersteine seien daher „Mahnmal und Erinnerung“ zugleich. Er hoffe, dass sie „gute Leute dazu inspirieren, gegen Unrecht aufzustehen“. Damals in der Nazizeit, speziell in der Reichspogromnacht, hätten die Menschen dies nicht getan. Die kollektive Verbrüderung nach den Anschlägen in Paris lasse ihn jedoch hoffen, dass die Menschheit zumindest dieses Mal etwas aus der Geschichte gelernt habe.