„Der Sabbat ist die wichtigste Idee innerhalb der Bibel und innerhalb des späteren Judentums. Es ist die einzige strikte religiöse Anweisung der Zehn Gebote, ihre Einhaltung wird sogar von dem im übrigen antiritualistischen Propheten gefordert. Es war das am striktesten befolgte Gebot in den 2000 Jahren des Lebens in der Diaspora, obwohl gerade diese Einhaltung erschwerte. Es ist kaum zu bezweifeln, dass der Sabbat ein Lebensquell für die in alle Winde zerstreuten, machtlosen und oft verfolgten Juden war; dass sich ihr Stolz und ihre Würde erneuerten, wenn sie wie Könige den Sabbat feierten. Ist der Sabbat nichts weiter als ein Tag der Ruhe im weltlichen Sinn der Befreiung des Menschen von der Last der Arbeit, wenigstens an einem Tag? Natürlich ist er auch das, und diese Funktion macht ihn zu einer der großen Errungenschaften in der Evolution des Menschen. Doch wenn dies alles wäre, hätte der Sabbat wohl kaum die zentrale Roll gespielt, die ich eben beschrieben habe. Um diese Rolle zu verstehen, müssen wir zum Kern dieser Institution vordringen. Es handelt sich nicht um Ruhe an sich in dem Sinne, dass man jegliche physische oder geistige Anstrengung meidet; es geht um Ruhe im Sinne der Wiederherstellung vollständiger Harmonie zwischen den Menschen und zwischen Mensch und Natur. Nichts darf zerstört und nichts aufgebaut werden; der Sabbat ist ein Tag des Waffenstillstandes im Kampf des Menschen mit der Natur. Sogar das Abreißen eines Grashalms wird ebenso als eine Verletzung dieser Harmonie angesehen wie das Entzünden eines Streichholzes. Auch keine gesellschaftlichen Veränderungen dürfen vorgenommen werden. Das ist der Grund, warum es verboten ist, etwas auf der Straße zu tragen, selbst wenn es so wenig wiegt wie ein Taschentuch, während es erlaubt ist, im eigenen Garten eine schwere Last zu tragen. Nicht das Tragen als solches ist verboten, sondern der Transport eines Objektes von einem privaten Grundstück zu einem anderen, da es sich bei einem solchen Transfer ursprünglich um die Veränderung von Eigentumsverhältnissen handelte. Am Sabbat lebt der Mensch, als hätte er nichts, als verfolgte er kein Ziel außer zu sein, das heißt seine wesentlichen Kräfte auszuüben – beten, studieren, essen, trinken, singen, lieben.
Der Sabbat ist ein Tag der Freude, weil der Mensch an diesem Tag ganz er selbst ist. Das ist der Grund, warum der Talmud den Sabbat die Vorwegnahme der Messianischen Zeit nennt und die Messianische Zeit den nie endenden Sabbat; der Tag, an dem Besitz und Geld ebenso tabu sind wir Kummer und Traurigkeit, ein Tag, an dem die Zeit besiegt ist und ausschließlich das Sein herrscht.“
Erich Fromm, Haben oder Sein, München 1979, S. 56