Ewige Grabstätten und ihre Geschichten
Rundgang – Rund 70 Teilnehmer informieren sich über den jüdischen Friedhof und seine Bedeutung für Groß-Gerau
Über rund 70 Teilnehmer freute sich Ulf Kluck vom Förderverein jüdischer Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau bei der Spurensuche auf dem jüdischen Friedhof. „Dieses Jahr kooperieren wir mit der Arbeitsgemeinschaft für Walldorfer Geschichte und den Freunden der Waldenser in Walldorf“, erklärte Hans-Jürgen Vorndran, Mitglied im Förderverein und einer der Führer des historischen Spaziergangs. „Wir versuchen aber nicht nur mit dieser Führung einen Teil der Geschichte aufleben zu lassen, sondern helfen auch aktiv bei der Suche. Immer wieder erreichen uns auch Anfragen aus dem Ausland, dass Nachkommen das Grab ihrer Vorfahren in Groß-Gerau besuchen wollen. Auch dabei können wir weiterhelfen.“
Betritt man den Friedhof, so kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass alles recht verwildert aussieht. Löwenzahn und Blumen auf dem hoch gewachsenen Rasen, ein Weg zu den Gräbern ist schwer erkennbar.
Nur der große Abstand zwischen den Grabsteinen und Gedenktafeln bietet eine Art Pfad. „Man darf das nicht mit dem Maßstab messen, den wir auf den Friedhöfen sonst vorfinden. Auf jüdischen Friedhöfen ist es selten, dass Gräber akkurat eingegrenzt sind und es eine Bepflanzung oder eine Fläche mit Kies gibt. Vielmehr steht nur der Grabstein, dieser muss aber nicht bei der Neuvergabe der Grabstätte entfernt werden, denn das gibt es hier nicht. Auf jüdischen Friedhöfen existiert jede Grabstätte ewig“, erklärte Kluck und ruft damit verwunderte Blicke vieler Teilnehmer hervor.
Bis 1841 reicht die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Groß-Gerau zurück, jedoch gab es auch schon im frühen Mittelalter jüdische Gemeinden auf dem Gebiet der Kreisstadt. Ein schwarzes Jahr für die jüdische Gemeinde Groß-Gerau war 1936. „Der jüdische Friedhof war damals an der Stelle, wo heute die Kreissparkasse steht. Damals überlegte man, das dortige Landratsamt auszubauen und brauchte Platz dafür. Daher wurde einfach auf dem jüdischen Friedhof gebaut“, beschrieb Kluck. Dass dennoch mehr als 100 Jahre alte Grabsteine auf dem heutigen Friedhof zu finden sind, ist dem Mut der damaligen jüdischen Gemeindemitglieder zu verdanken. Unfreiwillig retteten sie, was noch zu retten war, wie es Kluck beschrieb.
„Die Gemeindemitglieder haben Tote exhumiert und umgebettet, die Grabsteine ebenso. Doch durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg war nicht immer eindeutig zu sagen, an welcher Stelle jemand beerdigt wurde.“
Ludwig Goldberger, der Sohn von Friedhofswärter Moritz Goldberger, war nach dem Zweiten Weltkrieg aus einem Konzentrationslager nach Groß-Gerau zurückgekehrt und führte das Werk seines Vaters weiter.
Viel konnten die Besucher bei diesem Rundgang erfahren. So berichtete Kluck, dass es auf dem Friedhof kaum Doppel- oder Familiengräber gebe und warum viele Grabsteine in Hebräisch beschriftet sind. Auch über die Bedeutung von Symbolen sprach er ausführlich, während er die Gruppe über den Friedhofsplatz führte. Wer sich für Namensgebung interessierte, erfuhr, dass die meisten Juden lange keine Familiennamen kannten. Bis zur napoleonischen Gesetzgebung zumindest, als Familiennamen vorgeschrieben wurden.
Bis dahin hieß ein Mann zum Beispiel David Ben Joshua, also David, Sohn des Joshua. Danach wurde es üblich, Ortsnamen wie Nauheimer oder Oppenheimer anzunehmen. Beliebt war auch der Name Hirsch“, führte Kluck weiter aus.