Alltäglicher Kontakt mit Opfer-Namen
»Stolpersteine«: Evangelisches Dekanat hält am Kunstprojekt zum Gedenken an jüdische Mitbürger fest – Filmabend
Seit Mitte der neunziger Jahre verlegt der Künstler Gunter Demnig seine »Stolpersteine«. Das sind kleine Messingplatten, die mit dem Namen und den Lebensdaten eines NS-Opfers versehen und vor dem letzten frei gewählten Wohnsitz des Betroffenen ins Pflaster eingelassen werden. Rund 17 000 Stolpersteine wurden bisher in deutschen Städten und Gemeinden verlegt, 5000 weitere in anderen europäischen Ländern. Dennoch ist Demnigs Projekt umstritten. Zu den Kommunen, die sich dagegen sperren, zählt unter anderem auch die Stadt Groß-Gerau.
Aus diesem Grund hatten am Mittwochabend das evangelische Dekanat, der Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur und der Ortsverband des Deutschen Gewerkschaftsbundes gemeinsam zu einem Filmabend ins Lichtspielhaus in der Mittelstraße eingeladen. Gezeigt wurde die Dokumentation »Stolperstein«, für die Filmemacherin Dörte Franke Demnig bei seiner Arbeit quer durch Europa begleitet hatte. Rund zwei Dutzend Zuschauer besuchten die Vorführung und beteiligten sich an der anschließenden Diskussionsrunde. Das evangelische Dekanat hatte bereits vor rund eineinhalb Jahren angeregt, auch den deportierten jüdischen Bürgern Groß-Geraus durch Demnigs Stolpersteine zu gedenken. Der Magistrat stimmte dem Vorschlag zu. »Aber in der Stadtverordnetenversammlung ist es dann leider schief gegangen«, bedauert Dekan Tankred Bühler.
Der schwerwiegendste Einwand Groß-Gerauer Stadtverordneter deckt sich mit jenem, der auch im Film genannt wird: Durch die Position der Steine im Gehweg würde das Gedenken der NS-Opfer mit Füßen getreten. Dieser Meinung ist auch Charlotte Knobloch, die Präsidentin des Zentralrats der Juden.
Hans-Georg Vorndran vom evangelischen Arbeitskreis für das christlich-jüdische Gespräch in Hessen und Nassau lässt das Argument trotzdem nicht gelten. Schließlich sei man auch im Zentralrat geteilter Meinung. »In ein paar Wochen sind Neuwahlen, und beide Kandidaten, die zur Wahl stehen, sind für die Stolpersteine«, wusste er zu berichten. Alternativ zu Demnigs Projekt hatten die Fraktionen von CDU und Kommunaler Bürgerinteressengemeinschaft (Kombi) eine Mauer an der Synagogen-Gedenkstätte in der Adolf-Göbel-Straße angeregt, auf der namentlich an alle ehemaligen jüdischen Bürger Groß-Geraus erinnert werden solle.
Die Diskussionsrunde am Mittwoch stand diesem Vorschlag kritisch gegenüber. Nicht alle Juden seien fromm gewesen, lautete ein Einwand. Sie an einem Ort zu ehren, der für ihr Leben keine Bedeutung besessen habe, sei daher unsinnig. »Das kommt mir so vor, als wolle man die Leute wieder mal wegdrücken«, fand ein Besucher. »Einer Gedenkstelle begegnest du nicht in deinem normalen Leben«, argumentierte ein anderer. »Da musst du erst einen Ausflug machen, und das ist eine andere Form des Gedenkens.« Gerade der alltägliche Kontakt mit den Namen der NS-Opfer, die sozusagen zurück nach Hause geholt würden, sei das Besondere an den Stolpersteinen.
»Es ist schade, dass kein Stadtverordneter hier ist«, bedauerte eine Besucherin. Das Projekt sein nämlich eine »Herzenssache«, der man unmittelbar begegnen müsse.Tatsächlich hatte das Dekanat die Stadtverordneten persönlich eingeladen und sogar den Termin verschoben, um ihnen entgegenzukommen. Erschienen war alleine Klaus Astheimer, Vorsitzender des Sport-, Kultur- und Sozialausschusses in Büttelborn, der von der rasch voranschreitenden Planung für »Stolpersteine« in seiner Kommune berichten konnte. Und auch in Groß-Gerau wollen die Befürworter des Projekts nicht aufgeben: 45 Stolpersteine seien bereits finanziert, berichtete Dekan Bühler. Zudem habe man Gunter Demnig für einen Vortrag im kommenden März gewinnen können: »Wir wollen auf jeden Fall dran bleiben.«Internet
Mehr Informationen unter www.erinnerung.org oder www.groß-gerau-evangelisch.de