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Juden in der christlichen Welt – Förderverein Jüdische Geschichte und Kultur im Kreis Groß-Gerau e.V.

Juden in der christlichen Welt

Haim Hillel Ben-Sasson Im zweifelhaften Schutz des Kaisers
Etwa im Jahr 825, in der Zeit Ludwigs des Frommen, des Sohnes Karls des Großen, entstand eine Reihe von Urkun­den, mit denen die Rechte einzelner jüdischer Gruppen fest­gelegt wurden […] Die Freibriefe, die etwa aus dem Jahre 825 stammen, geben den Juden Erlaubnis, „nach ihrem Ge­setz“ zu leben; sie sagen ihnen Schutz für Leib und Besitz sowie Bewegungs- und Handelsfreiheit zu, inbegriffen den Sklavenhandel außerhalb des Reiches, und gestatten ihnen auch die Beschäftigung von christlichen Arbeitskräften in ih­rem Haus. Eine Reihe von Juden wird sogar durch Gesetz von der Prüfung durch Gottesurteil, der Feuer- oder Was­serprobe, befreit. Diese Begünstigungen wurden im allge­meinen den Fernkaufleuten zuteil, deren Handel und Prä­senz dem Kaiser sehr recht war. Den gegen die Juden gerichteten Klagebriefen des Erzbi­schofs Agobard von Lyon ist zu entnehmen, dass ein speziel­ler Beamter für „die jüdischen Ungläubigen“ eingesetzt war. Und ebenso, dass die Stellvertreter des Kaisers in Lyon dem gegen die Juden wetternden Erzbischof entgegneten, die Ju­den seien am kaiserlichen Hof keineswegs missachtet, viel­mehr seien sie dem Kaiser „teuer“, ja, „wertvoller“ noch als die Christen. Selbst wenn wir annehmen, dass der Erzbischof hier übertrieben haben mag, um diese Beamten anzuschwär­zen, lassen solche Berichte doch erkennen, welches Ansehen die jüdischen Kaufleute bei Hof genossen. Die Juden wiesen auch zwei kaiserliche Handschreiben vor, die an den Erz- bischof und den vicecomes von Lyon gerichtet waren. Ago­bard beklagt‘ sich, dass ihnen die Erlaubnis zum Bau von zwei neuen Synagogen erteilt und außerdem der Markttag ihretwegen vom Samstag auf den Sonntag verlegt wird. Agobards Schmähungen bestätigen also das in Dokumenten vor­liegende Beweismaterial dafür, dass der Kaiser den Juden Schutz gewährte und dass bestimmte Rechte, so das Recht zum Bau von Synagogen, eher Gemeinden zugebilligt wur­den als Einzelpersonen. Heftig wandte sich der Erzbischof auch gegen die angesehene Stellung der Juden innerhalb der christlichen Gemeinde; er glaubte, dieser böse Einfluss sei zum Teil der wohlwollenden Behandlung der Juden am kai­serlichen Hof zuzuschreiben. Aber auch das Volk lobte die jüdischen Prediger, und manche Edelleute baten sie sogar um ihren Segen. Die Juden rühmten sich ihrer alten Abstam­mung und pochten darauf, dass es kein Kirchengesetz gebe, das Christen verbiete, sich jüdischer Gastfreundschaft zu er­freuen. Agobards Klagen über den geistigen Einfluss der Juden und das Verhalten der oberen Gesellschaftsklassen beruhten keineswegs auf Einbildung. Dies beweist der Übertritt des gelehrten jungen Diakons Bodo zum jüdischen Glauben so­wie dessen Flucht ins muslimische Spanien im Jahr 838/39 und seine antichristliche Aktivität. Kurz, in der ersten Hälf­te des 9. Jahrhunderts begünstigte die Politik des Kaisers die . jüdischen Kaufleute und ihre kommerzielle Tätigkeit, ein­schließlich ihres Sklavenhandels, und auch die öffentliche Meinung war ihnen wohlgesonnen, wie sich aus den Freibriefen und den Bezichtigungen gleicherweise entnehmen lässt […] . Der Druck auf die Juden begann sich auch im Westen von mehreren Seiten her zu verstärken. Im 10. und 11. Jahrhun­dert wurde das Christentum fraglos zum Glauben der brei­ten Schichten. Die reformistischen Mönche von Cluny er­zielten mit ihrer Frömmigkeit und Selbstdisziplin bedeuten­de Wirkungen: Christliche Männer schlössen sich zu geistlichen Verbänden zusammen, überzeugt, dass sie verpflichtet seien, für das Christentum mit dem Schwert zu kämpfen […] In die größte Bedrängnis gerieten die Juden durch das ein­fache Volk, das zunehmend tiefer vom christlichen Glauben erfasst wurde und nun die Juden für die einzigen verbliebe­nen Gegner des allgemein übernommenen Glaubens hielt. Die christliche Lehre räumte ein, dass die Juden die Wahrer des Alten Testaments seien, welches alle christlichen Wahr­heiten enthalte und in dem das Christentum seine Wurzeln habe. Da die Juden Städter waren und lesen und schreiben konnten, sah die große Menge des Volkes in ihrer Zurück­weisung des christlichen Glaubens die böswillige Verleum­dung dessen, was sie aus dem Studium der Heiligen Schrif­ten erkannt haben mußten. Den hebräischen Pijutim (liturgi­schen Dichtungen) jener Zeit ist zu entnehmen, wie stark dieser Druck, zum Christentum überzutreten, von den Ju­den empfunden wurde; so zum Beispiel ruft Rabbenu Ger-schom, die Leuchte des Exils, zur Ablehnung des Christen­tums auf: „Der Sterbliche, Abtrünnige, Neugekommene [Jesus], welche Sicherheit kann er mir bieten?“ Es kam zu Übergriffen und Ermordungen, aber auch zu Zwangsüber­tritten oder Märtyrertum, wie 930 in Otranto in Süditalien: „Als sie durch jene grausame Verfolgung überwältigt wur­den, stieß sich Rabbi Isaia mit den eigenen Händen ein Mes­ser in den Hals und wurde‘ geschlachtet wie ein Lamm im Tempelhof; und Rabbi Menachem stürzte… in die Grube, und unser Meister Elija wurde erdrosselt.“ Im Jahr 1007 fan­den auch in Frankreich Judenverfolgungen statt, und der Überlieferung zufolge führte die Vertreibung der Juden aus Mainz im Jahr 1012 zu zahlreichen Übertritten in der Stadt. Trotz dieser Repression spielten die Juden noch immer eine bedeutende Rolle. Von den weltlichen wie auch den geistlichen Obrigkeiten wurden sie für gewöhnlich besonde­rer Rechte und den Schutzes für würdig befunden. Noch 1084, nur zwölf Jahre vor den Massakern von 1096, erhielten die Juden vom Bischof von Speyer einen Schutzbrief, dessen Einzelheiten darauf deuten, dass man ihnen einen Anreiz bieten wollte, sich in dieser Stadt niederzulassen. Einem jü­dischen Bericht entnehmen wir, dass es sich hier um Juden aus Mainz handelte, die aufgrund ihrer Erfahrungen einen Ort suchten, wo man ihnen durch Errichtung von festen Mauern um ihren Wohnsitz Schutz und Verteidigungsmög­lichkeit biete. Dies wurde ihnen vom Bischof zugesagt. 1090, nur sechs Jahre vor den Gemetzeln, erneuerte Kaiser Heinrich IV. das Speyerer Privileg und erteilte der Gemein­de von Worms ein gleiches. Trotz erheblicher Abweichun­gen sichern beide Dokumente den Juden Handelsfreiheit in­nerhalb der Stadt sowie das Recht zur ungehinderten Reli­gionsausübung zu. Besonders deutlich kommt dies in den Privilegien für Speyer zum Ausdruck, dessen Bischof ein Anhänger des Kaisers war. Der Erste Kreuzzug war zweifellos der Höhepunkt des Erfolges im päpstlichen Programm zur Führung der Chri­stenheit. Es war Papst Urban II., der 1095 auf dem Konzil zu Clermont zu diesem Kreuzzug aufrief. Neben dem ge­meinen Volk nahmen Ritter und fürstliche Würdenträger al­ler Rangstufen an ihm teil; Monarchen waren jedoch nicht darunter. Ein jüdischer Chronist aus dem 12. Jahrhundert bediente sich zur Beschreibung der Situation folgender Wor­te aus Salomos Sprüchen (30,27): „Die Heuschrecken – sie haben keinen König, dennoch ziehen sie aus in Ordnung.“ Der Feldzug war Ausdruck der von der Kirche abgesegneten ritterlichen Ideale, die nun, über Europa und die christlichen Bruderkriege hinaus auch für den Krieg gegen die Ungläubi­gen zur Eroberung des Heiligen Landes Gültigkeit hatten. Rache für Jesu Blut lautete die Devise der Kreuzfahrerpoe­sie, und sie war auch das Thema der Volkspredigten und Briefe, die zum Kreuzzug aufriefen und auch die Schwärme von Kreuzfahrern gegen die Juden aufbrachten. Der eben er­wähnte jüdische Chronist berichtet: „… Als sie durch die Städte zogen, in denen Juden waren, sagten sie zueinander: Nun ziehen wir so weiten Weg, das ,Haus der Schwachen und Vernichteten‘ [eine hebräische Bezeichnung für das heilige Grab] aufzusuchen und an den Ismaeliten Rache zu nehmen; und siehe, hier mitten unter uns wohnen die Juden, deren Väter ihn unschuldig schlugen und kreuzigten. Wohlan, rächen wir uns zuerst an ihnen und rotten sie aus unter den Völkern, dass des Namens Israel nicht mehr gedacht werde; oder sie sollen so werden wie wir und sich zum ,Sohn der Unzucht‘ [jüdische Bezeichnung für Jesus] bekennen“. […] Das Unheil begann in Rouen in Frankreich, scheint sich jedoch in jener Region nicht ausgebreitet zu haben. Die Ge­meinden des Rheingebiets wurden gewarnt, konnten sich in­des Ausbrüche von Gewalttätigkeit, gegen die selbst der Schutz der Bischöfe und des Kaisers nichts fruchtete, nicht vorstellen. Im April und im Juni 1096 kam es in der Rhein-ebene zu furchtbaren Ausschreitungen. Die jüdischen Füh­rer appellierten an den Kaiser und die Bischöfe und andere Oberhäupter in den Städten sowie an die Besitzer von Befe­stigungen innerhalb und außerhalb der Städte. Sie zahlten riesige Summen an diese potentiellen Beschützer, die ihnen in vielen Fällen tatsächlich befestigte Bauwerke zur Verfü­gung stellten, in denen sie sich verteidigen konnten, und ih­nen sogar eine Wachtruppe zum Schutz gaben. Die Städte indes öffneten den Kreuzfahrern die Tore. Die christlichen Wachen hatten keine Neigung, Ungläubige gegen ihre Brü­der zu verteidigen, die in einen heiligen Krieg zogen und, nach ihrer Ansicht, den Juden die Wahl ließen zwischen dem wahren, christlichen Glauben und der Rache für ihre Ver­stocktheit. In manchen Orten, zum Beispiel in Speyer und Köln, blieben die Bischöfe fest, geboten den Übergriffen schon im Anfangsstadium Einhalt und straften die Gewalttä­ter mit Tod oder Abhacken der Hände. Doch in den ver­schiedenen Orten herrschten jeweils andere Verhältnisse, so z. B. musste der Erzbischof in Mainz, der versucht hatte, die Juden zu schützen, selbst fliehen […] Nachdem eine ganze Anzahl von Schutz- und Freibriefen sowie auch die früheren Schutzmaßnahmen nahezu wir­kungslos geblieben waren, wie sich 1096 erwiesen hatte, suchten die Herrscher nach neuen Methoden, die Juden zu schützen. 1103 bemühten sie sich, die Juden in die Bestim­mungen des „Reichslandfriedens von Mainz“ einzubeziehen. Die Einrichtung des „Landfriedens“ beruhte auf christlichen Vorstellungen vom „Gottesfrieden“, der die infolge von Adels- und Königsfehden gespaltenen christlichen Länder einen sollte. Man wollte vor allem die unbewaffneten, nicht an den Kämpfen beteiligten Mitglieder der christlichen Ge­sellschaft schützen. Doch war die versuchte Einbeziehung der Juden bald vergessen, denn eben der schon seiner Defi­nition nach christliche Begriff „Landfrieden“ scheint einer Einbeziehung der Juden widersprochen zu haben. Aufs neue stellte man den Juden nun Privilegien und Schutzbriefe aus. Doch von nun an spiegeln sie den klerika­len Druck wider, der auf die größtmögliche Demütigung der Juden und ihren Ausschluss aus bestimmten Tätigkeitsberei­chen wie der des Geldhandels abzielte – er war nach kirchli­cher Meinung unvereinbar mit der ihnen unter Christen zu­kommenden Position. Besonders heftig wurde gegen die Tä­tigkeit der Juden in solchen Berufen opponiert, die ihnen eine geachtete Stellung unter den Christen oder sogar Macht über diese verschafft hätten. Fortan setzte man sie zuneh­mend unter Druck, indem man den Pöbel gegen sie aufhetzte.[…] Zu jener Zeit begann die Funktion der Juden als Geldver­leiher in den Freibriefen immer mehr Raum einzunehmen. In diesen Freibriefen taucht anlässlich der Umstände, un­ter denen sie formuliert wurden, ein neuer Begriff auf, der auch in den päpstlichen Schreiben Verwendung findet und bei der Anstiftung der Volksmenge seine Funktion erfüllt: die Idee von der Knechtschaft der Juden. Dieses Konzept lieferte die theoretische Basis für die Demütigung der Juden und ihre zunehmende Unterwerfung unter den Willen der Obrigkeiten. Gleichzeitig gewährte es aber den Juden ver­mehrten Regierungsschutz; daraus spricht sowohl das Inter­esse der Herrschenden an der Unbeschadetheit dieser „Knechte“, die so wesentliche Beiträge zur Anreicherung der Schatzkammer leisteten, als auch die Sorge um die eigene Rangstellung und das eigene Ansehen in ihren Landen. Erstmals artikulierte sich diese Einstellung im christlichen Spanien, wo es bereits 1176 in den Gesetzen der Stadt Teruel heißt, dass die Juden „Leibeigene des Königs“ seien und ab­solut zu den Besitztümern der Königlichen Kammer gehör­ten. Die während der Reconquista bestehenden Verhältnisse waren den Juden günstig, und so hielten sich die. möglichen negativen Rückwirkungen dieser Knechtschaft in Grenzen. Und wiewohl in den Königreichen der Iberischen Halbinsel unterschiedliche praktische Konsequenzen aus ihr gezogen wurden, waren diese doch weniger extrem und hart als spä­ter gegen Ende der Rückeroberung. […] Auch in Deutschland wurde in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entschieden, dass „die Juden der Kaiserlichen Kammer gehören“. Kaiser Friedrich I. ging bei der Aufzäh­lung der Rechte und Pflichten der Regierung ihren Unterta­nen gegenüber von diesem Besitzrecht der Kaiserlichen Kammer aus. In einer Urkunde, mit der er den Juden von Regensburg im Jahr 1182 ihre Rechte bestätigt, heißt es: „Es ist die Pflicht Unserer Kaiserlichen Majestät wie auch eine Erfordernis der Gerechtigkeit und des Verstandes, dass wir einem jeden unserer treuen Untertanen bewahren, was ihm zusteht, nicht nur den Anhängern des christlichen Glaubens, sondern auch jenen, die von unserem Glauben abweichen und nach den Bräuchen ihrer Vorfahren leben. Wir wollen Sorge tragen, dass sie an ihren Sitten festhalten und Frieden haben für sich und ihr Eigentum. Deshalb ver­künden Wir, dass Wir Uns das Wohlergehen der in Unserem Reich lebenden Juden, die dank Unseres besonderen Ho­heitsrechtes Knechte der Kaiserlichen Kammer sind, angele­gen sein lassen.“ Kaiser Friedrich II. machte vor allem wegen seines Kamp­fes mit dem Papst um die Führung der Christenheit von der Formel „Knechtschaft der Juden“ Gebrauch. Die Bezeich­nung „Kaiserliche Kammerknechte“ prägte er erstmals auf Sizilien, und ab 1236 wurde sie überall im nördlich der Al­pen gelegenen Teil des Heiligen Römischen Reiches ver­wandt. Herrschaftsansprüchen der Kirche über die Juden begegnete er mit einer Erklärung aus dem gleichen Jahr, derzufolge die Juden ihm gemäß Gesetz unmittelbar unterstellt seien, „im Kaiserreich wie im Königreich“. 1237 erklärte er in einem Privileg für die Stadt Wien, es sei der „unerträgli­chen Sünde“ der Juden zuzuschreiben, dass er, Erbe der rö­mischen Kaiser, ihr Herr wäre, „da kaiserliche Gewalt die­sen Juden seit altersher ewige Knechtschaft als Strafe für die Sünde“ der Kreuzigung Jesu „auferlegt hat“. […] Schon seit den Taten der Kirchenväter hatte die Kirche behauptet, Israel, das Jesus nicht anerkannt und ihn umge­bracht habe, sei geradezu das Ebenbild des Kain, der seinen Bruder erschlug. Auch habe die Zerstreuung der Juden Furcht und ewige Knechtschaft über sie gebracht. Der Ver­gleich mit Kain wurde von den Predigern systematisch wei­terverbreitet. Er gab auch den Herrschern ein ideologisches Fundament für ihre Definition der jüdischen Knechtschaft. Doch beanspruchte die Kirche eben unter Berufung auf Kain für sich das ausschließliche Recht der Kontrolle über die Juden im gesamten christlichen Bereich. Gleichzeitig war sie willens, den christlichen Herrschern die unmittelbare Überwachung dieser Knechtschaft in ihren jeweiligen Terri­torien zu überlassen. Dementsprechend erklärte Innozenz III. im Jahr 1205: „Gott missbilligt es nicht, sondern heißt gut, dass die zerstreuten Juden unter katholischen Königen und christlichen Fürsten leben und dienen sollen.“ Die Kir­che hielt sich in ihrer erhabenen Position als geistige Ober­hoheit für ausersehen, die Einstellung der Gläubigen zu den Juden durch Instruktionen zu lenken. Manchmal diente dies auch den Juden zum Schutz. Zum Beispiel veröffentlichte Papst Innozenz III. 1199 eine Constitutio pro Judaeis. Unter Verwendung der von früheren Päpsten zum gleichen Thema gebrauchten Terminologie sah der Erlass vor, dass den Juden kein leiblicher Schaden zugefügt und ihr Status quo weder zu ihrem Vorteil noch zu ihrem Nachteil verändert werden durfte. Dieser Schutz wurde ihnen indes „aus Milde christli­cher Frömmigkeit …im Sinne seiner Vorgänger“ gewährt. Übereinstimmend damit erließ er Befehl, die Juden nicht ge­waltsam zur Taufe zu zwingen, denn gewiss könne man kei­nem trauen, dass er den wahren Christenglauben besitze, der nicht willentlich, sondern durch Gewalt die christliche Taufe empfangen habe. •Der gleiche Papst verbot auch, Juden zu erschlagen oder zu verletzen oder ihr Eigentum zu beschädigen und ihre Fei­ertage zu entweihen: „Niemand sollte ihre Gottesdienste mit Stöcken oder Steinen stören… Gegen die Habsucht und Schlechtigkeit der Menschen verfügen Wir, niemand soll die Friedhöfe der Juden schänden oder auf der Suche nach Geld dort bestattete Tote ausgraben.“ Und der Papst drohte je­dem mit Exkommunikation, der diesen Verfügungen zuwi­derhandele. […] So brachte die kirchlich befürwortete Knechtschaft der Juden zwar schwerwiegende Beschränkungen, aber auch be­grenzten Schutz mit siel?, der sich freilich, sorgfältig präzi­siert, lediglich auf bestimmte Aspekte des Lebens erstreckte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die ideologische Basis für die jüdische Knechtschaft in der generellen Grund­haltung zu suchen ist, die sich das Christentum in bezug auf das Judentum zu eigen gemacht hatte – Behauptungen, die mit der wachsenden Macht der Kirche zunehmend strenger und schärfer formuliert wurden. Im Laufe des 13. Jahrhun­derts führte diese Feindseligkeit zu praktischen Forderungen der Kirche und zu Gegenforderungen der Monarchen, die sich ihrerseits aus dem Prinzip des allen Untertanen ohne Rücksicht auf ihren Glauben zu gewährenden Schutzes oder aus materiellen Erwägungen der Herrscher herleiteten. Das Zusammenwirken dieser Faktoren wie auch die Gegensätz­lichkeiten zwischen ihnen führten zur Entwicklung der For­mel „Kammerknechte“. Während sie die soziale, rechtliche und menschliche Demütigung der Juden gewährleistete, ver­schaffte sie den Herrschern rechtliche und materielle Vortei­le. Aber sie war den Interessen der Juden insofern dienlich, als sie ihnen eine klare Formulierung ihrer Stellung lieferte, auf die sie sich, wenn es um ihre Sicherheit an Leib, Leben und Besitz ging, berufen konnten.

Birgid
Author: Birgid

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